Wirtschaft

Abseits und doch mittendrin

Frank Häßner erzählt über sich
Frank Häßner erzählt über sich

Frank Häßner erzählt über sich

Erschienen am 29.01.2021

Neues Gera berichtet über Menschen, die oftmals Abseits des Lebens stehen. Die gestrandet sind und ihre Kraft für das eigene Leben aufzustehen, irgendwo am Wegesrand verloren haben. Es sind Menschen aus der Geraer Tagesstätte für psychisch und seelisch kranke Menschen des Rehabilitations-Zentrums Stadtroda. Sie erzählen freiwillig ihre Geschichten, nach ihrem eigenen Ermessen, mit ihrem zurück gewonnenen Mut. Sie geben dem Leser Einblicke in ihr Leben, in ihre Intimität. 

Frank Häßner ist erst seit November vergangenen Jahres Besucher der Tagesstätte. Er las unseren Artikel über die Tagesstättenbesucherin Heidrun Vogt, über ihr Leben und ihre chronischen Schmerzen, die ihr jede Bewegung erschweren und sie nicht am Arbeitsalltag teilhaben lassen. Frank Häßner machte sich auf den Weg, wollte die Tagesstätte kennen lernen und nachfragen, ob auch er hier willkommen sei. Es vergingen nur wenige Wochen vom ersten Besuch in der Tagesstätte, über die Antragstellung beim Sozialamt, bis Frank Häßner nach erteilter Kostenzusage täglich die Einrichtung in der Debschwitzer Straße besuchen konnte. Frank Häßner verbrachte eine schwere Kindheit. Er kennt elterliche Fürsorge kaum. Darauf angesprochen antwortet er stets, er können nicht viel dazu sagen. Viel Zeit lebte er in Heimen, ab und zu kam er nach Hause, in die Wohnung seines Vaters. Zu seiner Mutter hat er keinerlei Kontakt. Auch Halbgeschwister habe er, ob von Vater oder Mutter kann er nicht genau sagen. Für die allermeisten von uns kaum vorstellbar. Frank Häßner wird nach vielen Jahren des rauen Miteinanders, des Herumschiebens, gänzlich abgeschoben. Sein Vater wirft ihn raus, weil Frank sich wehren will. Vor allem die letzten Jahre seien gewaltvoll gewesen. 

Mit 17 Jahren steht er vor der Tür der väterlichen Wohnung, bekleidet mit Socken und den wenigen Dingen, die er am Leib trug. Es war Winter. Die Nachbarn empfahlen ihm, nach Lusan in den Schlupfwinkel zu gehen. Von dort aus kam er in das Obdachlosenheim nach Langenberg. Der Kalender schreibt das Jahr 1989. Hier lebte er rund neun Monate, fand im Geraer Verkehrsbetrieb einen Lehrbetrieb und begann eine Ausbildung zum Teilschlosser. In einer Wohngruppe in der Kurt-Keicher-Straße fand er zeitweilig ein neues Zuhause. 2014 mit der Insolvenz der GVB, flatterte seine Kündigung ins Haus. Unverheiratet und kinderlos folgten Jahre der Isolierung. Er versuchte noch ein paar Mal neu in Arbeit zu kommen, doch immer vergeblich. In fünf Jahren vereinsamte er, schüchtern und in sich gekehrt verkrümelte er sich in sein Zuhause und verlor sich mehr und mehr in seiner eigenen Gedankenwelt. Die Erinnerungen seiner Kindheit sind noch immer präsent. Obwohl kontaktfreudig, fällt es ihm schwer, sich auf andere Menschen einzulassen, Vertrauen aufzubauen. Und doch ist er immer noch auf der Suche nach Ersatz für die seit seiner Kindheit schmerzlich vermisste Mutterliebe. 

Mit dem Artikel über Heidrun Vogt im vergangenen Jahr und dem darauf folgenden Besuch der Tagesstätte kehrt nun endlich wieder ein Lichtblick in seinem Leben zurück. Er wird wieder kognitiv und körperlich gefordert, ist unter ihm wohlgesonnenen Menschen und erfährt Förderung und Wertschätzung. 

Die Tagesstätte für psychisch und seelisch kranke Menschen in der Debschwitzer Straße 26, besteht seit mehr als 25 Jahren und arbeitet seit 2004 in Trägerschaft der Rehabilitations-Zentrum Stadtroda gGmbH. Sie bietet mit derzeit 24 Plätzen bedürftigen Menschen im Rahmen der Eingliederungshilfe und nach individuellem Hilfebedarf Unterstützung zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben und zur Vorbereitung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Neun Mitarbeiter tragen mit tagesstrukturierenden Angeboten dafür Sorge, dass sich die Besucher entsprechend eigener Fähigkeiten und Bedürfnisse einbringen und Fortschritte erzielen können, um ihren Lebensalltag besser zu meistern. In fünf Arbeitsbereichen wie Café, Wäscherei, einer kleinen Holz- und Keramikwerkstatt und in der Stadtteilbibliothek Gera-Langenberg haben die Leistungsnehmer Gelegenheit, sich auszuprobieren, Fertigkeiten zu erwerben und persönlichen Erfolg zu erleben.

 

Fanny Zölsmann

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