Gesellschaft

Ledig, kinderlos und schuldenfrei

Die Wandergesellen Fynn (l.) und Daniel geben dem Weidaer Tischler-Gesellen Maurice Jahn (Mitte) letzte Tipps vor seiner dreijährigen Walz. Foto: Jens Lohse

Erschienen am 29.10.2025| Jahrgang: NG 22/25

Von Jens Lohse

Weida (NG). Maurice Jahn ist auf der Walz. Seit Ende September ist der 21-jährige Weidaer Tischler-Geselle nach seiner abgeschlossenen Lehre bei der Fritz Glock GmbH in Hermsdorf in der Welt unterwegs und dort auf die Gutherzigkeit der Menschen angewiesen. Auf einer großen Party mit Freunden, Verwandten und anderen Gesellen nahm er Abschied. Nach der Berufsberatung in der Schule, vielen Schnupperstunden in der heimischen Tischlerei und der Ferienarbeit im Sommer reifte beim Dörffelgymnasiasten der Gedanke, irgendwann den väterlichen Handwerksbetrieb zu übernehmen. Schon in der Ausbildung fremdelte er nicht mit neuen Dingen, absolvierte u.a. ein vierwöchiges Auslandspraktikum im norwegischen Bergen.
Nun ist er für drei Jahre unterwegs auf der Walz. Letzte Tipps holte er sich von drei Gesellenkollegen, die ihn vor der Abreise zu Hause besuchten. „Die Menschen sind netter als man denkt. Das Paradies gibt es nirgendwo. Überall muss man sich so verhalten, dass auch der nächsten Geselle, der kommt, dort gern gesehen ist", gab ihm Fynn mit auf den Weg, der viel über die über 800 Jahre alte Tradition der Walz berichtete. Es geht darum, Berufserfahrung zu sammeln, neue Orte und Menschen kennenzulernen und sich persönlich weiterzuentwickeln. Gesellen, die ihre Prüfung bestanden haben, ledig, kinderlos und schuldenfrei sein müssen, dürfen während der dreijährigen Walz nicht in ihre Heimatstadt oder in deren Nähe zurückkehren. Unterwegs sind die Gesellen in ihrer traditionellen, berufsspezifischen Kluft, die sie sofort erkennbar macht. Es ist nicht erlaubt, ein Handy mitzuführen. Gesellen reisen zu Fuß oder suchen nach Mitfahrgelegenheiten. Verpflegung und Unterkunft findet man unterwegs. „Früher haben die Wandergesellen mit ihrer beruflichen Weiterbildung auf der Walz das Meisterrecht erworben", verrät Fynn.
Joshua ist während seiner bald zu Ende gehenden Wanderschaft durch 17 Länder Europas gereist. Höhepunkt war ein dreimonatiger Abstecher ins südafrikanische Namibia. „Dort haben wir Hochregale und Schränke gebaut. Den Flug haben wir uns von unserem vorherigen Lohn erspart, damit auch das Leben vor Ort finanziert. Wir haben Einblicke in die gesellschaftlichen Schichten bekommen, die kein Tourist erhält. Die Diskrepanz zwischen dem oberen Prozent der Bevölkerung und dem Ziegenkopf-Essen im Armenviertel, zu dem wir herzlich eingeladen waren, ist kaum mit Worten zu beschreiben", berichtet er.
Am letzten September-Sonntag wurde Maurice Jahn von seinen Freunden bis zum Ortsausgangsschild gebracht. „Dann dreht man sich nicht mehr um. Es ist ein Gang ins Ungewisse, ein Raus-in-die-Welt-Schauen. Ich werde mitnehmen, was sich ergibt. Einen Plan habe ich mir nicht zurückgelegt", sagt Maurice Jahn und seine Freunde pflichten ihm bei. „Wer Pläne macht, wird ausgelacht", meint Fynn, während sich Joshua erinnert: „Einen Tag bin ich von Hamburg nach Neuschwanstein gekommen, am nächsten hätte ich es mit Laufen weitergeschafft. Mal schläfst Du auf der Parkbank, mal im Hotel ´Vier Jahreszeiten'. Man wird oft zum Übernachten eingeladen, von Kirchen, Jugendherbergen oder Hotels. Ich habe die Erfahrung gemacht, je mehr Sterne die Unterkunft hat, umso leichter ist es, dort eine Bleibe für eine Nacht zu finden."
All diese Erfahrungen sammelt Maurice Jahr auf seiner Arbeits-, Kultur- und Bildungsreise gerade. Wenn er im Herbst 2028 bewandert zurückkommt, wird er viel zu erzählen haben.

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