Politik

Kaufhaus-Tietz: Fluch oder Segen?

Eigentümer bot zum Kauf – Stadtrat lehnt Kauf der Immobilie ab – OB in der Zwickmühle

Erschienen am 01.10.2021

Es gibt wahrlich die eine oder andere Never-Ending-Story, die Gera zu erzählen hat. Nicht zuletzt jene vom Tietz-Kaufhaus, dem ehemaligen Horten auf der einstigen Pracht-Einkaufsmeile der Stadt: Der Sorge. Es muss wohl in der Vergangenheit ein Zukunftsforscher am Werk gewesen sein, der der Straße ihren Namen gab. Doch mokieren lohnt sich nicht. Hier nun der Verlauf der letzten Woche. Der derzeitige Eigentümer des Tietz-Kaufhauses, Falk Bräuner, stellte am Dienstag vergangene Woche seine Ideen in Sachen Wiederbelebung des Quartiers vor. 

Eine Studie, erarbeitet von Professor Dr. Ing. Bernd Nentwig und Masterstudentin Pauline Friederike Schroeder, gab Aufschluss über die Machbarkeiten im Quartier. Denn für Falk Bräuner geht es nicht einzig und allein um die Revitalisierung des Kaufhaueses, sondern um das gesamte Quartier entlang der Sorge, Leipziger Straße und Diener-Straße. Ein Mischgebiet aus Handel, Wohnen und Büro – so die Vision. Es wird ja nun schon lange diskutiert, geunkt, hinterfragt und die Stirn gerunzelt – ob das Horten nach nun mehr als 20 Jahren des Leerstandes jemals wieder mit Leben gefüllt sein wird. Immerhin gab es auch schon das eine oder andere Versprechen. Einst auch von Geras aktuellem Oberbürgermeister. Er warb 2018 in seiner Kandidatur damit, selbiges in seiner Amtszeit wieder öffnen zu wollen. Architekt Bernd Nentwig sieht hierin ein künftiges Leuchturmprojekt. „Durch den vorgesehenen Nutzungsmix im Quartier - angefangen von öffentlichen Einrichtungen wie Bibliothek und Verwaltung, weiter über Einzelhandel sowie Weiterbildungs- und Schulungseinrichtungen bis hin zu barrierefreien, vielfältigen Wohnmöglichkeiten und das für die Bevölkerung erlebbar flankiert durch historische Architektur, Gastronomie und Aufenthaltsmöglichkeiten." Investitionsvolumen rund 80 Millionen Euro. 

In der vorliegenden Studie hat er die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Revitalisierung belegt. So könnte sich die Stadt auf Gewerbesteuermehreinnahmen von bis zu 23 Millionen Euro einstellen. Wohlbemerkt nach einer Sanierung, Vollbelegung des Hauses und weiteren 25 Jahren später. Es ist Eigentümer Falk Bräuners Wille das Tietz-Haus samt umliegendem Quartier zu gestalten. Um es nun endlich voran zu bringen und den strittigen Diskussionen ein Ende zu setzen, bot er das Kaufhaus der Stadt rechnerisch „zu Null" an. Dass dies keine Milchmädchrechnung sein soll, erklärte Falk Bräuner wie folgt: „Ich habe der Stadt das Tietz-Kaufhaus für 5,8 Millionen Euro angeboten, diese Summe entspricht der Höhe der in Aussicht gestellten Fördermittel durch das Bundesprogramm ‚Nationale Projekte des Städtebaus'. Mit diesem Angebot komme ich der Stadt entgegegen, das einstige Gutachten, welches ich – auf Anraten einiger Stadträte und der Verwaltung erstellen ließ – kalkulierte einen Wert von 18 Millionen Euro." 

Dieses Angebot sandte er Dienstagmittag (21. September) an den Oberbürgermeister. Zu dieser Zeit stand fest, dass es am Mittwoch eine Sonderstadtratssitzung in Sachen Tietz-Kaufhaus geben sollte. Denn klar war bis dato auch, es ist nur noch Zeit bis zum 1. Oktober dem Kauf zuzustimmen. Am Mittwochvormittag kam die Botschaft aus dem Rathaus, dass es keine Stadtratssitzung geben wird. „Die für heute geplante, nichtöffentliche Sitzung des Geraer Stadtrats zum Thema ‚Ankauf ehemaliges Tietz-Kaufhaus in Gera' wird kurzfristig abgesagt. Grund hierfür ist die Tatsache, dass kein entscheidungsfähiges Angebot zum Kauf vorliegt. Der Stadt wurde allein die Immobilie Tietz-Kaufhaus zum Kauf angeboten. Allein aus bauplanerischer Sicht muss auch eine Nebenfläche mit den Zuwegungen zwingend erworben werden, um die Projektentwicklung umsetzen zu können. Zudem stellt die Höhe der Verkaufspreisforderung seitens des Eigentümers trotz mehrmaliger intensiver Verhandlungen keine mehrheitsfähige Grundlage für eine politische Diskussion und Entscheidung im Stadtrat dar. Doch der Schwerpunkt bleibt. 

Das öffentliche Interesse und der Wunsch der Bürger war nie größer, Geras Innenstadt wieder zu beleben. Natürlich wird die Stadtverwaltung alles tun, um die innerstädtische Entwicklung weiter zu forcieren. Wir tun alles im Sinne der Stadt, denn uns allen ist die Tragweite bewusst. Das ist unsere Aufgabe und dafür stehe ich", erklärte der Oberbürgermeister. Mit einem offenen Brief reagierten die Stadträte – wohlbemerkt einhellig, unterschrieben von allen Fraktionen – das gab es bis dato noch nie im aktuellen Satdtrat. 

Offener Brief der Fraktionen 

Sehr geehrter Herr Bräuner, die große Mehrzahl der Stadtratsmitglieder, als gewählte Vertreter der Bürger dieser Stadt, sieht dringenden Handlungsbedarf an verschiedenen Standorten in Gera. Dies betrifft diverse Grundstücke in Ihrem Eigentum bzw. im Eigentum eines Ihrer Unternehmen. Aktuell konzentrieren sich die Diskussionen auf das Tietz-Kaufhaus als Bestandteil des Tietz-Quartieres und das Milchhofareal. Die Entwicklung des Tietz-Kaufhauses wollten die Stadträte an erster Stelle angehen. Diese Priorisierung beruhte auf der Aussicht, für die Entwicklung des Quartiers erhebliche Fördermittel zu erhalten. Dazu war als Voraussetzung ein Standortkonzept für alle kommunalen Einrichtungen seitens der Verwaltung seit 1,5 Jahren durch den OB zu erstellen. Denn die zumindest in Erwägung gezogene Unterbringung von Verwaltungseinheiten muss natürlich im Rahmen eines umfassenden Konzepts erfolgen. Ein solches Konzept liegt leider bislang nicht vor. Die Gesamtkosten sowie eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sind eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für den Stadtrat. Nachdem der Stadtrat durch seine Beschlussfassung die Beantragung von Fördermitteln ermöglichte, waren qualitative Fortschritte bei der Präzisierung des Investitionsprojekts in der Folgezeit kaum zu erkennen. Im Kern zielte Ihre Idee darauf ab, dass sich die Stadt Gera in erheblichem Umfang in Ihre Immobilien einmietet. Um das Projekt nicht scheitern zu lassen und die in Aussicht gestellten Fördermittel des Bundes in Höhe von 5,8 Millionen Euro nicht ohne Not aufzugeben, wurde im Stadtrat beschlossen, den Kauf des Tietz-Kaufhauses zu erwägen und die Verwaltung wurde vor Monaten aufgefordert, die dafür notwendigen Vorbereitungen zu schaffen. Dieser Zeitraum sollte für ergebnisorientierte Verhandlungen über den Ankauf eines Gebäudes völlig ausreichend sein. Inzwischen hat auch der Fördermittelgeber eine abschließende Frist gesetzt. Diese Frist wäre seitens des Stadtrates in seiner Sitzung vom 29. September noch zu wahren gewesen. Wir mussten leider feststellen, dass seitens des Eigentümers keine erkennbare Bewegung in die Verkaufsverhandlung kam. Deshalb haben wir Sie aufgefordert, bis Freitag, den 10. September ein Verkehrswertgutachten und ein darauf beruhendes Verkaufsangebot uns Stadtratsmitgliedern und der Stadtverwaltung zuzusenden. Das Ertragswertgutachten wurde nur in Teilen geliefert und wies den Betrag von 18,4 Millionen Euro aus. Das uns vom OB am 21. September dargestellte „abschließende" Verkaufsangebot umfasste nur eine für die Stadt nicht eigenständig nutzbare Teilfläche mit dem aufstehenden Kaufhausgebäude. Die Ertragswertermittlung geht an der Realität weit vorbei, denn das ehemalige Tietz-Kaufhaus kann in seinem jetzigen Zustand keinen Ertrag einbringen. Auch die im Gutachten ausgewiesenen Mietpreise lassen sich mit der Realität des Mietmarktes in Gera nicht vereinbaren. Bei dieser Gelegenheit möchten wir feststellen, dass wir keinesfalls einem Vertrag zustimmen werden, der für die alternativ immer noch im Raum stehende Einmietung in Ihrem Gebäude einen so exorbitant überhöhten Mietzins vorsieht. In Bewertung aller dieser Tatsachen haben sich die Vertreter der im Stadtrat handelnden Parteien und Wählervereinigungen entschieden, dem Oberbürgermeister den Abbruch der Kauf-Verhandlungen mit Ihnen nahezulegen. Wir werden gerne sinnvolle Entwicklungsabsichten mit den erforderlichen Beschlüssen im Stadtrat unterstützen. Einen überteuerten Erwerb einer stark sanierungsbedürftigen Immobilie schließen wir jedoch aus. Dabei geht es nicht darum, ob der Erwerb aus Eigenmitteln der Stadt oder aus Fördermitteln bezahlt wird. Es geht alleine darum, dass der geforderte Kaufpreis völlig überzogen ist. Die Fördermittel sollen vorrangig der Sanierung eines komplizierten Gebäudes dienen. Sie dienen nicht dazu, überzogene Kaufpreisforderungen zu bedienen. Da Sie selbst den Absichten der Stadt als neuer Eigentümer des Tietz-Kaufhauses erklärtermaßen skeptisch gegenüberstanden, gehen wir davon aus, dass Sie nunmehr Ihre Bemühungen darauf fokussieren, den hohen Immobilienwert des Gutachtens durch eine zügige Projektentwicklung des ganzen Tietz-Quartieres in Eigenverantwortung zu realisieren. Das, was als machbare Unterstützung durch die Stadt erfolgen kann, wird geleistet werden. Es obliegt Ihnen, die nach eigenem Bekunden guten Entwicklungschancen des Quartiers zu realisieren. Abschließend weisen wir darauf hin, dass für uns die Entwicklung der Innenstadt eine hohe Bedeutung hat. Deshalb werden wir das Thema Milchhof in einem geordneten Verfahren gerne unter Beachtung der gesamtstädtischen Auswirkungen beraten.

 

Fanny Zölsmann

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