Kultur

„Sie wurden auf Linie gebracht”

Mona Krassu: „Falsch erzogen” – Disziplinierungen durch Medizin

Erschienen am 26.11.2020

Mit ihren Romanen will sie aufmerksam machen, sensibilisieren und inspirieren, Dinge zu hinterfragen. „Ich möchte mit meinen Büchern anregen. Vorurteile abzulegen. Ja, es gibt Menschen, die anders sind, zumindest anders scheinen. Oftmals wissen wir den Grund dafür jedoch nicht. Und meistens gibt es dafür eine Ursache, verborgen im Sein oder durch den Körper preisgegeben", erklärt Mona Krassu das Ansinnen ihrer Bücher.
Das dritte Werk mit dem Titel „Falsch erzogen" steht bereits im Regal hiesiger Buchhandlungen. Diesem vorangegangen sind „Freitagsfische" und „Alles Schafe".

In „Falsch erzogen" geht Mona Krassu der Tatsache „Disziplinierung durch Medizin" auf den Grund. „Gebissen wurde ich von diesem Thema vor gut vier Jahren. Ich hörte einen Podcast. Nach diesem Beitrag fuhr ich nach Halle, um die Poliklinik Mitte, einstige sogenannte Tripperburg aufzusuchen. Im Anschluss daran las ich das Sachbuch von Florian Steger und Maximilian Schochow ‚Disziplinierung durch Medizin. Die geschlossene Venerologische Station in der Poliklinik Mitte in Halle (Saale) 1961-1982'. Doch diese Informationen allein haben mir nicht ausgereicht. Für ein Buch wollte ich mehr wissen. Ich nahm Kontakt mit Christoph Koch, Stellvertreter der Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Madgeburg auf, um mit Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. Ein erneuter Besuch in Halle, am Gedenkstein vor der ehemaligen Poliklinik, ließ mich zufällig eine Stuttgarter Journalistin kennenlernen, die eine betroffene Frau kennt. Mit ihr nahm ich Kontakt auf. Bis heute lebt die Frau allein und noch immer traumatisiert von den Ereignissen in ihrer Kindheit, will sie unerkannt bleiben", erzählt Mona Krassu ihren Weg, ihrer Romanheldin Solveig Form und Farbe zu geben.

Solveig ist 1966 geboren. Sie hat viele Träume. Zum Beispiel diesen, eine herausragende Schauspielerin zu werden. Bereits in den ersten Schuljahren liest sie Gedichte von Eva Strittmatter. Obwohl sie diese nicht versteht, ist sie vom Klang der Worte begeistert. Solveigs Liebe zur Literatur und zum Schauspiel festigt sich, als sie im Rahmen der Timurarbeit die Schauspielerin Eleonore Sattler kennenlernt. Diese Frau gibt ihr Halt in einer Zeit, in der sich die Eltern immer öfter streiten und schließlich trennen. Anfangs aus Unwissenheit, später als Auflehnung gegen ihren Stiefvater Hartmut, gerät Solveig zunehmend in Konflikt mit dem Diktaturstaat DDR. Heimlich trifft sie sich mit anderen Jugendlichen im „Bau", einem Abrisshaus, in dem sie die Musik von Udo Lindenberg hören und selbst texten und musizieren. Was passiert in einer Diktatur mit Kindern, die schon als Schüler nicht ins sozialistische System passen? Die Genossen und Funktionäre in der DDR haben ihre Methoden. Sie nutzen auch die Mittel der Medizin, wenn es darum geht, junge Menschen auf Linie zu bringen.

In der DDR konnten Mädchen und Frauen ab dem 12. Lebensjahr in geschlossene Venerologische Stationen zur Behandlung von Geschlechtskrankheiten zwangseingewiesen werden. Oft reichte dafür eine Denunziation oder der Verdacht auf eine Geschlechtskrankheit, um von der Polizei, der Heimleitung oder von den Eltern auf eine solche Station gebracht zu werden. Solche im Volksmund oft kurz und derb Tripperburg genannten geschlossenen Stationen gab es in fast jedem Bezirk.

In „Falsch erzogen" schildert Mona Krassu wie auf solchen Stationen ohne Aufklärung und Einverständnis der Patientinnen in die körperliche Integrität der Frauen eingegriffen wurde. „Ich möchte mit diesem Buch zum Nachdenken anregen, dass wir viele Dinge einfach hinnehmen ohne sie zu hinterfragen. Auch mir erging es beim Schreiben so. Ich habe mir an den Kopf gegriffen und mich gefragt, ob wir früher wirklich so wenig wahrgenommen haben oder einfach nicht hinterfragt haben."

Mona Krassu „Falsch erzogen", Edition Outbird, Paperback, 18,50 Euro.

Lesungen am 6. Oktober, 19 Uhr, Bibliothek Greiz und 9. Oktober, 20 Uhr, Gemeindebibliothek Bad Klosterlausnitz.

Fanny Zölsmann

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