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Ein Stadtoberhaupt von Format

Bei der Ausstellungseröffnung mit einer Reihe Wegbegleitern, darunter Dr. Günther Linsel (r.), Winfried Pickart und Straßenbahn-Urgestein Klaus Doller. Foto: Erika Baumann

Erschienen am 07.03.2023

Von Harald Baumann 

Gera (NG). Urlaub in Bad Elster. Überraschung für uns: Kurgast ist auch zufällig Horst Pohl. Wir kommen schnell ins Gespräch. Pohl weiß, dass wir von der schreibenden Zunft sind. Oft waren wir schon bei seinen dienstlichen Auftritten zugegen. Freimütig erzählt er von seinem durchaus harten Job als Rathauschef. Und dann offenbart er uns fast nebenbei, aber mit Stolz, was zu dem Zeitpunkt noch nicht öffentlich war: Ein kommunales Bundesgremium hat gerade herausgefunden, dass er der dienstälteste Oberbürgermeister einer Großstadt auf deutschem Boden ist. Primus im Osten war er ja schon. 

Ein bemerkenswerter Fakt vor der Wiedervereinigung. In einer von OB Julian Vonarb eröffneten kleinen Fotoausstellung im Foyer vorm Rathaussaal wird das nicht erwähnt. Dafür erfahren wir von ihm und zahlreichen Weggefährten viel aus Anlass des 100. Geburtstags des ehemaligen Stadtoberhauptes, ja, zu Leben und Wirken des herausragenden Kommunalpolitikers. Die Stadt ehrt auf Initiative von langjährigen Zeitgenossen wie Stadtbaudirektor Dr. Günther Linsel und Stadtrat Winfried Pickart den 25 Jahre währenden Dienst Pohls von 1962 bis 1988 . Die Ausstellung ist damit ein Beispiel für gelungene Erinnerungskultur. 

Horst Pohl ist in der Reihe der Oberbürgermeister seit 1945 der sechste. Es gab sechs, die ihm folgten. Weggefährte Linsel hat in Worten des Gedenkens zum 100. Geburtstag geschrieben, was wahrscheinlich viele Mitstreiter und Bürger ähnlich empfinden: Pohl war ein besonders engagierter Stadtvater, analog seines Namens ein ruhender Pol, ordnungsliebend, ordnungssichernd, ordnungschaffend. Wer mehr wissen will über den rastlosen Einsatz Pohls für seine Stadt, sollte das Buch lesen „Gera im Aufbruch 1962 bis 1990", wozu Linsel die Texte zu Papier brachte. Dem Geraer Verlag Erhard Lemm ist damit eine bemerkenswerte Veröffentlichung gelungen. Pohl hat warmherzig Werden und Wachsen seiner Stadt geschildert. Er bewährte sich als Mensch, Helfer und Leiter in einer Zeit großer Veränderungen, auch wenn er Vieles nicht so umsetzen konnte, wie er es sich als Fachmann gewünscht hätte. 

Pohls Kommunalpolitik zielte auf eine moderne Stadtgestaltung, auf Wachstum und Bürgernähe. Unter seiner Leitung entstand mit Lusan das größte Neubaugebiet im damaligen Bezirk Gera. Dem folgte Bieb-lach Ost. Durch die Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Sowjetischen „Konzern" Wismut bekam Gera nicht nur viele Wohnungen, sondern auch ein tolles Bergarbeiterkrankenhaus und das Handelsnetz HO Wismut. Zur Erfolgsbilanz gehören die Erweiterung der Straßenbahn, das Haus der Kultur, eine international wettkampfgeeignete Schwimmhalle. Unter der von Pohl geführten Stadtverwaltung kamen Großbetriebe wie Elektronik, Textima, Zeiss, Wohnungsbaukombinat, Wema UNION und andere gut voran, vor allem auch sozial. Eine besondere Leistung war die Gestaltung der Arbeiterfestspiele 1984 und die 750-Jahr-Feier der Stadt 1987. Was oft unterbewertet wird, sind Pohls Bemühungen um partnerschaftliche Beziehungen, besonders zu Arnheim, aber auch zu Saint Denis, Kuopio und anderen. In seinem Geiste und von ihm de facto vorbereitet folgte auf dem Weg zur Einheit ab 1988 die intensive Partnerschaft zu Nürnberg, Wegbereiter für weitere Ost-WestBegegnungen. Und inzwischen pflegt Gera zu zwölf Städten oder Gebieten in Ost und West mehr oder minder funktionierende partnerschaftliche Beziehungen. 

Die meisten Bürger Geras können bestätigen: Horst Pohl war ein trefflicher Gesprächspartner, offen zu jedermann und dabei stets überaus bescheiden. Viele wussten, wie spartanisch er in der Heinrichstraße zur Miete wohnte und wie einfach seine Datsche in Ernsee daherkam. Selbst seine Grabstätte wählte er unauffällig.

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