Gesellschaft

Bundesverdienstkreuz für Dieter Schulz

Der 89-jährige Geraer Wurftrainer Dieter Schulz erhält das Bundesverdienstkreuz für sein Lebenswerk. Foto: Jens Lohse

Erschienen am 23.01.2024| Jahrgang: NG 2/24

Von Jens Lohse Gera (NG). Auch mit 89 Jahren steht Dieter Schulz noch regelmäßig am Wurfring und begleitet seine Schützlinge beim Training des LV Gera aus nächster Nähe. Schon allein dieser Fakt ist beeindruckend. Überhaupt hat der Altmeister viel zu erzählen. Nicht umsonst erhielt er jüngst in der Thüringer Staatskanzlei von Ministerpräsident Bodo Ramelow das Bundesverdienstkreuz für sein Lebenswerk überreicht. Am Sterbebett seiner schwer erkrankten Ehefrau Marlis hatte diese ihm nach 55 gemeinsamen Ehejahren im Mai 2012 mit auf den dann allein zu beschreitenden Weg gegeben: „Wenn ich nicht mehr da bin, dann machst Du wieder Leichtathletik-Training. Die Sportler brauchen Dich." „Das habe ich dann auch getan", erzählt Dieter Schulz, der 2013 zu den Gründern des LV Gera gehört. Als stellvertretender Vorsitzender übernahm er im Vorstand nochmals Verantwortung und entwickelte viele Talente, die bei Thüringer und Mitteldeutschen Meisterschaften eine Reihe von Titeln einheimsten. 

Seine sportliche Wiege stand in Asbach bei Schmalkalden. In das kleine Örtchen im Thüringer Wald hatte es ihn mit seiner Mutter nach dem Krieg verschlagen. „Als Schüler habe ich in Schmalkalden in den großen Ferien das Stadion mitgebaut. Der Sportplatz war mein zweites Zuhause. Ich habe Fußball gespielt und die Oberschule besucht", erinnert sich Dieter Schulz, der bei der BSG Feinprüf Schmalkalden kickte und 1953 sein Abitur ablegte. Anschließend absolvierte er ein dreijähriges Diplomsportlehrer-Studium an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (DHfK) in Leipzig. „Eineinhalb Jahre hatte ich durchweg Muskelkater. Wir haben eine umfassende Ausbildung in allen Sportarten erfahren, vom Schwimmen, über die Disziplinen der Leichtathletik bis hin zum Volleyball. Parallel habe ich in Schmalkalden weiter Fußball gespielt. Ich habe 20 Mark pro Spiel bekommen, dazu das Fahrgeld für die erste Klasse, bin aber nur Holzklasse gefahren. Den Rest habe ich gespart", weiß Dieter Schulz noch, der dann 1956 nach Gera wechselte. Er begann am Nicolaiberg an der Berufsschule. Nachdem er einen alten Schrank mit Boxhandschuhen entdeckt hatte, besserten sich die vorher auffälligen Undiszipliniertheiten unter den Schülern. Später erfolgreichen Boxern wie Günther Malik brachte er die ersten Kniffe bei. 1961 wurde er zum Bezirkstrainer Leichtathletik ernannt, nachdem er sich zuvor bereits in der Ausbildung von Übungsleitern engagiert hatte. Mit dem eigens dafür angeschafften Motorroller ging es an die Sportschulen nach Greiz und Bad Blankenburg. Ab 1957 agierte Dieter Schulz zudem als Trainer bei den Geraer Lok-Leichtathleten im Stadion der Freundschaft. Werner Scheffler hatte ihn geworben. Dabei betreute er auch Dieter Hoffmann, den er entdeckte, als er die Kugel ohne Training bei einem Wettkampf auf 12,87 m wuchtete. Nach einem halben Jahr bei Dieter Schulz steigerte sich Hoffmann schon auf 15 Meter und wechselte später zum ASK Vorwärts Potsdam. 1969 wurde er Kugelstoß-Europameister und war der erste Europäer, der über 20 Meter stieß. 

Als die Leichtathletik-Bezirkstrainer in Berlin nach ihrer Bereitschaft, auch im Ausland zu wirken, gefragt wurden, sagte Dieter Schulz ja. Nach einigen politischen Schwierigkeiten ging er 1968 samt Familie nach Ägypten, wo er für die dortige Leichtathletik-Nationalmannschaft verantwortlich zeichnete. „Das war eine mächtige Umstellung, eine andere Welt. Die Verständigung erfolgte auf Englisch ohne Dolmetscher. Zum Glück hatte ich mich an einem Sprachkurs in der Handelsvertretung beteiligt, konnte auch einige Brocken Arabisch", so Dieter Schulz, der gemeinsam mit Volleyball-Trainer Horst Buchröder vor Ort war. Leicht war es nicht, Prinzipien wie Disziplin, Ordnung und Pünktlichkeit einzuführen, zumal eine Regel galt: „Der Älteste bestimmt!" Und Dieter Schulz war mit seinen damals 33 Jahren der Jüngste. Sein Aushängeschild wurde Werfer Nagui Asaad, der als erster Afrikaner im Kugelstoßen die 20 m-Marke übertraf und 1971 bei den Mittelmeerspielen in Izmir mit 20,18 m Gold sowie Bronze mit dem Diskus gewann. Die beiden einzigen ägyptischen Medaillen brachten Dieter Schulz bei einer Ehrung im Rahmen der Tea-Party im National Sporting Club Kairo den „Order of Merit" in Silber ein. Nachdem die All-Afrikanische Sportorganisation die Empfehlung ausgesprochen hatte, nur einheimische Trainer zu den Olympischen Spielen 1972 nach München zu entsenden, verlängerte Dieter Schulz seinen Vertrag in Ägypten nicht. Auch familiäre Gründe spielten ein Rolle. Die deutsche Schule in Kairo ging nur bis zur sechsten Klasse. Der Sohn hatte deshalb schon ein Schuljahr allein in Bad Blankenburg verbracht. 

Nach seiner Rückkehr in die DDR wurde Dieter Schulz Bezirksturnrat, ab 1977 dann Wurftrainer beim SC Motor Jena. Ab Oktober 1985 fungierte er als Cheftrainer Radsport bei der SG Wismut Gera, hatte dort in erster Linie administrative und organisatorische Aufgaben. „Das war eine tolle Zeit. Ohne Wismut Gera ging in dieser Zeit im DDR-Radsport nichts. Ich habe viele Gratulationen zum Beispiel für den Olympiasieg von Olaf Ludwig 1988 entgegengenommen, konnte aber eigentlich gar nichts dafür", so Dieter Schulz lächelnd. In der Wendezeit gründete er noch den SSV Gera 1990, ehe er in der Sportwerbung tätig war. 1995 ging er in Rente. Sportlich begab er sich allerdings noch lange nicht in den Ruhestand. In vorderster Reihe gehörte er 2001 zu den Mitbegründern des Fördervereins der Geraer Leichtathletik. Kaum einen lokalen Wettkampf ließ er aus, war als Zuschauer fast immer vor Ort. Mit Ehefrau Marlis und knapp 70 Mitstreitern verfasste Dieter Schulz ab 2007 in akribischer Kleinarbeit die Chronik der Geraer Leichtathletik, die zwei Jahre später als 200-seitiges Werk vorgestellt wurde. 2011 erschien unter seiner Regie die zweite überarbeitete Chronik-Auflage, die schon mehr mehr als 400 Seiten umfasste. Auch als seine Frau verstarb, setzte Dieter Schulz sein sportliches Lebenswerk fort. Kaum einer hat das Bundesverdienstkreuz so verdient wie er.

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