Gesellschaft

Schausteller aus Passion

Tochter Luisa Ortelt, ihr Ehemann Steven und Vater René Otto (v.l.) gehören zur Bad Köstritzer Schausteller-Familie, die seit sechs Generationen von Volksfest zu Volksfest zieht. Foto: Jens Lohse

Erschienen am 14.11.2023| Jahrgang: NG 23/23

Von Jens Lohse Gera (NG). René Otto zieht ein positives Fazit. Der Schausteller aus Bad Köstritz ist mit dem Geraer Herbstvolksfest zufrieden. „Am Wetter können wir nichts ändern. Da haben sich schon Generationen vor uns geärgert. Wenn man im Outdoor-Bereich tätig ist, dann muss man sich darauf einstellen", sagt er. Noch heute schwärmt er vom Auftakt am 15. Oktober, als der Hofwiesen-Parkplatz bis spät in den Abend hinein sehr gut besucht war. Auch den kleinen Kälteeinbruch am darauffolgenden Sonntag haben die Besucher gut weggesteckt und eben einen Pullover mehr angezogen. „Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur unpassende Kleidung", verrät René Otto und lacht. „In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es ohnehin so, dass uns die Leute als Anlaufpunkt nicht vergessen. Wir sind durchaus krisenerprobt. Unser herbstliches Lichtermeer - wenn es dunkel wird - vermittelt viele Eindrücke, die online nicht erlebbar sind. Wenn der dritte oder vierte Urlaub im Jahr gerade nicht möglich ist, dann gehen die Menschen lieber in Familie auf den Rummel. Daran sind viele Erinnerungen aus der Kindheit verknüpft, die aufgefrischt und weitergegeben werden wollen", weiß der Köstritzer, der zur Stadtverwaltung einen sehr guten Draht hat. Die Zusammenarbeit mit dem Kulturamt und dem Verantwortlichen Steffen Kühn funktioniert sehr gut. So lassen sich auftretende Probleme auf kurzem Weg aus der Welt schaffen. „Auch der Platz ist ideal. Selbst bei Regenwetter muss kein Besucher durch Schlamm oder Pfützen laufen. Die Schuhe bleiben sauber. Zudem sind wir zentrumsnah mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Das ist ein großer Standortvorteil", weiß René Otto. 

31 Schausteller waren in diesem Jahr auf dem Geraer Herbstvolksfest vertreten. Manche kamen sogar aus Berlin. René Otto ist Schausteller aus Passion. Seine Tochter Luisa Ortelt betrieb das „Gastmahl des Meeres", gleich neben dem Europa-Riesenrad, das mit seinen 38 Metern Höhe alle anderen Attraktionen überragte. Die Tochter gehört zur sechsten Generation, die als Schausteller von Volksfest zu Volksfest zieht. Die siebente steht in den Startlöchern. 

Die Enkel Cecilia (14 Jahre) und Robin (10) hatten schulisch zwei Wochen lang Heimspiel. Wegen der Nähe zum Wohnort Bad Köstritz durften beide dort zur Schule gehen. Die Kinder der Schausteller vom Riesenrad oder vom Autoscooter haben die Otto-Dix-Schule in Untermhaus nur wenige Meter vom Rummel entfernt besucht. Das Bundesprogramm „Digitales Lernen unterwegs" scheint ganz gut zu funktionieren, wenngleich es für die Kinder natürlich nicht einfach ist. „Nicht nur, dass die Mitschüler ständig wechseln. In der DDR waren die Schulbücher für jeden gleich. Heute variieren diese nicht nur von Bundesland zu Bundesland mit dann auch noch anderen Lehrplänen und teilweise sogar Fächern, sondern auch von Schule zu Schule", verrät Luisa Ortelt, deren Kinder später aber trotzdem in die Fußstapfen ihrer Eltern treten wollen. „Beide sind so aufgewachsen, können sich nichts anderes vorstellen. Schausteller zu sein, ist eine Lebenseinstellung. Andere sagen jeden Tag genervt: ´Ich muss wieder auf Arbeit. Ich mache das gern. Wer seinen Beruf liebt, braucht keine Hobbys", sagt die 34-Jährige. Im Frühjahr begann die Volksfest-Jahresrunde in Eisenach, setzte sich über Mühlhausen, Gera, Hohenmölsen, Eisfeld, Annaberg-Buchholz, Bad Langensalza und die Cranger Kirmes in Herne in Nordrhein-Westfalen bis zum Geraer Herbstvolksfest fort, das nun das Saisonfinale darstellte, ehe die Weihnachtsmärkte beginnen. 

„Wir sind selbständig, ein Saisonbetrieb. Da gibt es natürlich Phasen, in denen man besser oder schlechter leben kann.Corona steckt uns immer noch in den Knochen. Da mussten Reserven angezapft und teilweise Darlehen aufgenommen werden. Je nachdem, wie es gerade läuft, passen wir auch unsere Ansprüche an. Alles ist etwas anders als im normalen Leben, weniger planbar eben", verrät René Otto, der mit der Familie ab Februar im Wohnwagen unterwegs ist. 

Vier Festangestellte beschäftigt das „Gastmahl des Meeres". Hinzu kommen in Stoßzeiten zusätzliche Aushilfskräfte. „Wir backen unsere Brötchen selbst. Vom Fischbrötchen bis zu Meeresfrüchten reicht unser Angebot. Speisen und Getränke können auch bei Regen im überdachten Biergarten im Trockenen verzehrt werden", erzählt Luisa Ortelt. 

Beim Geraer Herbstvolksfest war René Otto besonders engagiert, war sozusagen der Schausteller-Chef. „Einen Schausteller-Beirat hat es schon immer gegeben. Berater aus dem Fach wissen doch am besten, wie Rummel funktioniert, wie Auf- und Abbau harmonisch organisiert werden, wie der Stellplan sein muss, damit die Warenanlieferung und die weitere Logistik funktionieren." 

Der älteste Nachweis zur Schausteller-Geschichte der Familie stammt übrigens aus dem Jahr 1882. Es ist ein Foto von der Luftschiffschaukel von Ururgroßvater August Otto senior. „Aber die Ursprünge müssen laut Erzählungen innerhalb der Familie noch viel weiter zurückreichen. Tradition verpflichtet", sagt Luisa Ortelt, deren Vater ihr das „Gastmahl des Meeres" vor drei Jahren übergab.

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