Sport

„Gera war seine erste Heimat“

Seit Oktober 2021 gibt es im Geraer Stadion am Steg den Manfred-Kaiser-Gedenkstein, über den sich auch sein Sohn Matthias sehr freut. Foto: Jens Lohse

Erschienen am 23.08.2023| Jahrgang: NG 17/23

Von Jens Lohse Gera (NG). Manfred Kaiser gilt als die Legende des Geraer Fußballs. Vor 60 Jahren wurde er als erster DDR-Fußballer des Jahres ausgezeichnet. Die Fußballzeitschrift „Die neue Fußballwoche" hatte eine Umfrage zur Wahl des besten Spielers der Saison 1962/63 initiiert, an der sich 42 Sportredaktionen der DDR beteiligten und auf Tippscheinen die sechs besten Fußballer mit Punkten bedachten. Ausschlaggebend sollten neben den sportlichen Leistungen auch „die charakterlichen Qualitäten des Aktiven" sein. Mit der höchsten Gesamtpunktzahl ging der „Silberne Fußballschuh" damals an Manfred Kaiser, der zu dieser Zeit für den SC Wismut Karl-Marx-Stadt auflief. Am 22. Juni 1963 bekam er die Auszeichnung im Berliner Presseclub überreicht. Mit 296 Punkten hatte sich der 34-Jährige deutlich gegen den aufstrebenden Jenaer Peter Ducke und seinen jüngeren Vereinskollegen Dieter Erler durchgesetzt. Erstaunlich war angesichts der besonders ausgelobten charakterlichen Eignung, dass die Ehrung an ein Nichtparteimitglied ging, denn gegen ein Instrumentalisierung durch die SED hatte sich Manfred Kaiser sein ganzes Leben lang gewehrt. 

Ein Gedenkstein an Manfred Kaiser ziert mittlerweile das Geraer Stadion am Steg. Anfang Oktober 2021 eingeweiht, würdigt dieser die Verdienste des Mittelfeldspielers, der 1950 elsteraufwärts von Zeitz nach Gera gewechselt war und hier fünf Jahre blieb. „Für meinen Vater ist Gera zu seiner ersten Heimat geworden. Von hier ist er bis kurz vor seinem Tode nicht mehr weggezogen. Selbst als er in Aue für den SC Wismut Karl-Marx-Stadt spielte, wurde er immer in Gera mit dem Auto abgeholt und nach Training oder Wettkampf wieder nach Hause gefahren. Einen Führerschein hatte er damals noch nicht. Den hat er erst in den 1970er Jahren gemacht", erinnert sich sein Sohn Matthias Kaiser, der es später selbst für den FC Carl Zeiss Jena auf einige Europapokal-Einsätze brachte, aber auch den Großteil seiner Laufbahn für die BSG Wismut Gera auflief. 

Nach Anlaufschwierigkeiten 1950 galt Manfred Kaiser ab der Saison 1950/51 als Leistungsträger. Unter Trainer Erich Dietel entwickelte er sich zum Stammspieler auf der Rechtsaußenposition. Mit den Geraern war es schwer, vordere Platzierungen in der Oberliga zu belegen. 1954 erfolgte der Abstieg, der dazu führte, dass Manfred Kaiser Anfang 1955 gemeinsam mit Bringfried Müller und Horst Freitag zum SC Wismut Karl-Marx-Stadt nach Aue wechselte. Schon im Juni 1955 steuerte Kaiser beim FDGB-Pokalfinale gegen Rostock beim Auer 3:2 einen Treffer zum Sieg bei. 1956, 1957 und 1959 folgten drei Meisterschaften mit dem SC Wismut Karl-Marx-Stadt. Mit den Auern spielte er am 6. Oktober 1956 vor mehr als 100.000 Zuschauern im Leipziger Zentralstadion im deutsch-deutschen Meisterduell gegen den 1. FC Kaiserslautern und war so auch mit dabei, als Fritz Walter das „Jahrhunderttor" mit der Hacke gelang. Alle 16 Europapokalspiele der Auer bestritt Manfred Kaiser, traf so u.a. auf Ajax Amsterdam, Rapid Wien und Young Boys Bern. 

Nachdem er noch 1954 als Geraer seinen ersten Einsatz in der DDR-B-Auswahl erlebte, debütierte er am 20. November 1955 in Bulgarien in der DDR-Nationalmannschaft, die mit 1:0 gewann. Insgesamt 31 Länderspiele bestritt er bis Februar 1964, wobei besonders die Begegnungen mit der UdSSR mit Torwartlegende Lew Jaschin, das 1:2 im Juni 1963 gegen England mit Bobby Charlton und das Weiterkommen 1963 in der EM-Qualifikation gegen Vizeweltmeister CSSR in Erinnerung blieben. Damals galt die Regel, dass Fußballer, die an der WM-Quali teilgenommen hatten, nicht zu Olympia dürfen. Das ärgerte den Blondschopf, der so auf Tokio 1964 verzichten musste, wo die DDR-Auswahl Bronze erkämpfte. 

Bis 1965 spielte Manfred Kaiser in Aue, wobei sich Sohn Matthias Kaiser - heute 67-jährig - noch ganz genau an eine ganz normale Woche erinnert. „Am Sonntag Vormittag zu den Spielen wurden mein Vater, meine Mutter und ich abgeholt. Dann ging es zum Spiel, nach dem die Spieler samt Familien dann noch in gemütlicher Runde beisammen saßen. Mutter hat nicht gearbeitet. Dadurch waren die trainingsfreien Montage unsere Sonntag als Familien - zumindest so lange, wie ich noch nicht in der Schule war", erzählt Matthias Kaiser. Am Dienstag früh fuhren dann entweder ein 311er Wartburg oder ein EMW Horch vor und brachten den Vater nach Aue, der am Mittwoch in Gera am Steg selbstständig Sprints und Torschuss übte. Donnerstag wurde Manfred Kaiser wieder geholt, übernachtete dann in einem der Gäste-Zimmer des Auer Stadions, ehe es nach dem Freitagstraining wieder nach Hause auf den Markt in die große Altbau-Wohnung ging und der Sonnabend frei war. „In dieser Zeit war ich viel mit meinem Vater unterwegs, bin sozusagen auf dem Sportplatz groß geworden. Ich kann mich an ein Wintertrainingslager in Oberwiesenthal erinnern. Während die anderen Fußballer Eishockeyspielen gingen - mein Vater konnte als Flachländler keine Schlittschuhe laufen - ist er lieber mit mir rodeln gegangen. ´Das ist nicht so gefährlich, aber genauso anstrengend!', hat er damals gesagt", weiß der Sohn noch. 

Äußerst erfolgreich verlief auch seine erste Trainerstation gleich im Anschluss an sein Karriereende bei Wismut Gera. Mit der Mannschaft stieg er nach zwölf Jahren Abstinenz 1966 wieder ins DDR-Oberhaus auf, war der Held von Spielern und Anhängern, auch wenn es nicht zum Klassenerhalt reichte. Bis 1970 blieb er auf der Wismut-Trainerbank, ehe er nach dem verpassten Aufstieg bei Lok Leipzig für fünf Jahre Co-Trainer bei Rot-Weiß Erfurt wurde. Anschließend trainierte er noch in Zeitz, Hermsdorf, Bad Köstritz und Silbitz. Seine Heimat blieb aber immer Gera. Der Gedenkstein im Stadion am Steg wird ihn niemals vergessen lassen.

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