Kultur

Zwischen Melancholie, Pierrot und Plagwitz

Orangerie zeigt Zyklus „Passage“ und weitere Bilder der Leipziger Malerin Doris Ziegler. Doris Ziegler vor ihren Werk „Passage I“ in der neuen Ausstellung im Südflügel der Orangerie. Foto: Hesse

Erschienen am 17.07.2023

Von Wolfganng Hesse 

Gera (NG). Das Gemälde Passage I aus dem Jahre 1988 empfängt die Besucher in der neuen Ausstellung der Kunstsammlung Gera in der Orangerie. Inmitten einer düsteren Messepassage in Leipzig sind fünf Personen zu sehen. Sie wirken erstarrt in einem „Sich-nicht-bewegen-Dürfen". Beim genaueren Hinsehen sieht man den Chemnitzer Maler Wolfram Adalbert, einen unbekannten Mann, Frida Kahlo und den Fotograf Peter Oehlmann. Dahinter steht der in sich versunkene Pierrot, ins Leere blickend. So erlebte die Künstlerin die letzten Monate der DDR. „Man spürte eine Agonie der Künstler, für viele war es ein gesellschaftlicher und künstlerischer Endpunkt, so dass 60 bis 70 Prozent der Künstler die DDR verlassen haben", berichtet Dr. Paul Kaiser, Kulturhistoriker aus Dresden und Kurator dieser Ausstellung. „Man wusste nicht, ob dieser oder jener meiner Bekannten noch da ist, oder sich das Leben genommen hat", ergänzt Doris Ziegler. „Es schien die letzte Gemeinschaft vor dem Kipppunkt zu sein. Die Eruptionen, Emotionen und späteren Pressionen scheint man fast schon zu spüren." 

Der Pierrot, als Sinnbild für eine Parallelwelt, scheint näher an die Malerin zu treten. In dieser Metapher, die als Hofnarr oder Harlekin in ihre Bilder tritt, nähert sie sich der Wirklichkeit der Zeit des Umbruchs von 1988 bis 1994. Später tritt sie heraus aus den düsteren Passagen, schaut auf renovierte Messehäuser und zeigt die Menschen, die dort leben. 

Sie hat sich bei ihren Bildern immer an lebendigen Personen orientiert, die sie in ihrer minimalen Beweglichkeit zeigt. Oft steckt sie selbst mit drin, ist also auf der gleichen Ebene ihrer Protagonisten. Die Bilder von Ende der 1980-er bis Mitte der 1990-er Jahre zeigen Veränderungen und Gegensätze und sind dadurch von großer Ambivalenz geprägt. Es sind für sie Passagen oder Durchgangsräume, die sie beschreitet. 

„Es ist nicht die Euphorie dieser Wendezeit, sondern ein kritischer, zweifelnder, auf die Verluste gerichteter Blick, verbunden mit empathischen Eindrücken," charakterisiert Paul Kaiser diese Arbeiten. „Wir sollten die Bezüge zur Zeitgeschichte nicht zur Bewertung der Bilder verwenden", meint er, denn es seien rein persönliche Gefühle, die künstlerisch umgesetzt wurden. In Gera zeigt sie erstmals auch Arbeiten, die ihrer Meinung nach noch nicht vollendet sind, sowie Stadtansichten von New York, die 1991 entstanden sind. „Ich möchte sehen, wie diese Werke bei den Besuchern ankommen", wünscht sich Doris Ziegler. 

Nach dem Passagezyklus verschwindet Pierrot aus ihren Bildern. Es beginnt eine neue Etappe der Selbstfindung mit einer schonungslosen Direktheit. „Man erkennt sie als Existentialistin, oftmals in radikaler Nacktheit und Sicht auf sich selbst", so Paul Kaiser. 

Für die 1949 in Weimar geborene Malerin ist es die überhaupt erste Museumsausstellung in Thüringen. Nach 20 Jahren Weimar ging sie nach Leipzig, wo heute ihr Lebensmittelpunkt liegt. In den 1960-ern erhielt sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig eine umfassende Ausbildung bei Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer. 1963 wurde sie selbst dort als Professorin für das Grundlagenstudium berufen. 

Ihren magischen Ort fand Doris Ziegler im Leipziger Stadtteil Plagwitz. Hier inspirierten sie die alten Fabriken aus der Gründerzeit, die Kanäle und Brücken sowie die Architektur und die Lebenswelt im Stadtteil zu zahlreichen Gemälden, die in der Orangerie zu betrachten sind. 

Die lohnenswerte Ausstellung einer sympathischen Künstlerin ist bis zum 17. September im Südflügel der Orangerie zu den planmäßigen Öffnungszeiten zu sehen. 

Öffentliche Führungen finden an den Samstagen 15. Juli und 12. August jeweils um 15 Uhr statt.

Anzeige

Aktuelle Ausgabe

Neues Gera

Aktuelle Ausgabe

Neues Gera

Nr. 08-2024
vom 22. April

Aktuelle Ausgabe

Neues Gera

Neues Gera

Nr. 07-2024
vom 21. April